text-dementielles

 

in der umarmung des vergessenstrailer umarmung des vergessens

lesung in frauenkirchen Dementielles.
Ein Wort. Ein Begriff,
mit dem nicht jeder etwas anfangen kann.
Ein Untertitel für eine Sammlung,
die es bisher in dieser Art noch nicht gab.
Mit kleinen Geschichten über Begegnungen mit demenzkranken Menschen, nachdenklichen Texten mit Validationshintergrund.
Und dann das bisher Einzigartige: Gedichte und Kurzprosa FÜR Demente. Um jenen Menschen Erinnerungen zu bescheren, die in der Umarmung des Vergessens leben.

 

Aus „Dementia in miniatures“
 

Der Besuch III.
 
Die Freude fühlt sich warm an. Meine. Und auch ihre.
„Hier ist es so schön“, sagt sie. „Jedem gefällt es. Alle sagen, bei mir ist es am schönsten.“
„Es ist auch wirklich schön hier“, bestätige ich. „Von wem hast du die Puppe bekommen?“
„Öh-hm … die gehört mir.“
„Ja, aber von wem hast du sie bekommen? Die ist wirklich hübsch.“
Ihre Augen werden unruhig. Sie bringt ihr Gesicht ganz nahe an die Puppe. Ihr Körper schaukelt ein wenig von links nach rechts.
„Ich … ich …“. Sie greift nach der Puppe. „Da hast du sie“, stößt sie dann heraus.
„Nein, lass nur, es ist deine Puppe.“
„Aber … wenn … ich … du …“
Ich umarme sie. „Lass nur, ich habe keinen Platz für sie. Bei dir hat sie es schön.“
Sie strahlt.
„Es ist so schön. Jedem gefällt es bei mir.“
Ich küsse sie auf die Schläfe. Sie ist so klein geworden.
„Ich schaue dir nach“, sagt sie an der Tür. „Solange ich dich sehe.“
Ich drehe mich um. Sie winkt.
Ich drehe mich um. Ihre Augen sind zusammengezogen.
„Sie ist weg“, höre ich sie murmeln. „Sie ist weg.“ Ihr Gesicht bekommt einen leeren Ausdruck.
Ich gehe zurück. Will sie noch einmal küssen.
Ihr Gesicht leuchtet erfreut auf.
„Wie schön“, sagt sie. „Ich habe schon so lange auf dich gewartet. Ich habe gedacht, du kommst nicht mehr.“

 

Die einzige Antwort
 
Ich fühle mich. Hilflos. Ich kann sie nicht beaufsichtigen. Nicht einsperren.
Nicht beschützen. Vor sich selbst. Vor all dem, das sie nicht mehr weiß.
Die Hilflosigkeit zerrt. An meiner Geduld. Mit ihr.
Sie beugt sich nicht mehr. Geht ihren Weg.
Unbeeindruckt. Vom Gebot. Von jeder Bitte. Unbeeindruckt von Gefahr.
Warum? Tut sie denn nicht? Hört sie denn nicht? Sieht sie denn nicht?
Doch Warum ist keine Frage. Die man an diese Krankheit stellen kann.
Und die einzige Antwort ist:
Die Umarmung des Vergessens.

 

 

Aus „DemPoem – die Idee“

….. Ich wehre mich absolut gegen die oftmals vertretene Ansicht, alte Menschen würden wieder zu Kindern. Das ist einfach nicht so. Und nimmt diesen Menschen die Würde, die ihnen meines Erachtens, nach einem erlebten Dasein zusteht.
Alte Menschen werden zu alten Menschen und zu sonst gar nix. Und es kann passieren, dass alte Menschen bestimmte Fähigkeiten, die sie im Laufe ihres Lebens erworben haben, aufgrund von Krankheiten wieder verlieren. Das ist eben so. Und nichts anderes!
 
Das zu akzeptieren fällt vielen Menschen schwer. Weil sie ihre eigene Angst vor einem solchen abhängigen Zustand damit verdrängen wollen.
Doch liegt es nicht gerade an uns, diesen Menschen ihre Abhängigkeit in Würde zu gestalten? Sie zu gleichwertigen Partnern zu machen? Indem wir unsere bewusst steuerbaren Handlungen dafür verwenden, uns auf ihre Augenhöhe zu begeben, um sie zu erreichen.
Kinder müssen nun einmal von den Erwachsenen lernen. Das ist der Weg, den die Entwicklung nimmt. Aber alte Menschen müssen nicht mehr lernen. Und demente Menschen müssen mit dem leben, das ihnen zur Verfügung steht, weil sie nicht mehr lernen können.
 
….. Und es reifte der Entschluss in mir, dies als gedankliche Aufforderung anzusehen.
Die Reduktion (von Texten) erschien mir plötzlich verheißungsvoll zuzuwinken. Hier zeigte sich eine enorme schreiberische Herausforderung, dachte ich. Denn ich wollte keine therapeutischen Texte schreiben. Sondern Gedichte.
 
Ich stellte mir ein handwerkliches Grundgerüst auf.
Es geht mir darum, dass diese Menschen nicht so leicht mit Sätzen zu erreichen sind. Da sie auch oft Begriffe nicht mehr richtig zuordnen, kann man also nicht über den Inhalt an sie heran.
Es ist wichtig, in ihnen etwas zum Klingen zu bringen. Sei es durch einzelne Worte, die Erinnerung hervorrufen oder Schwingungen in ihnen auslösen (die ich in weiterer Folge „Klingelworte“ nannte), durch Klang, Rhythmus, oder Intensität der Wiederholung.

 

Also verwendete ich folgende Ingredienzien:

  • Einzelne bekannte Begriffe aus dem Alltag
  • nach Möglichkeit aus einem Alltag vor vielen Jahrzehnten
  • Wiederholungen
  • Klangbilder
  • Auch sollte viel Raum bleiben, um den Hörern Zeit zu geben, die Worte anzunehmen,
    sie zuzuordnen, um sie dann in der Wiederholung wieder zu erkennen
  • Der Inhalt sollte sich auf jeden Fall auf ein Erwachsenenleben beziehen
  • Die Texte sollten so einfach vorzulesen sein, dass sie jeder vortragen kann – vornehmlich Angehörige. Einfach einen Rhythmus ergeben, um sich dem Hörer widmen zu können, nicht dem Vortrag.
  •  

    Für eine öffentliche Lesung gab es natürlich zusätzliche besondere Punkte zu beachten:

  • Nicht von einem Standort aus lesen, sondern auf die Leute einzeln zugehen
  • sie direkt ansprechen
  • Blickkontakt suchen
  • Eventuell mit Bewegungen oder auch Gegenständen unterstützen.
  •  

    DemPoem-Beispiele:
     
    wichtig

    in meinem garten. . . . . . in my garden

    kaffee

     

    Aus „MemMinis – die Idee“

    Bei der geistigen Vorbereitung einer Lesung bin ich auf eine weitere Facette gestoßen. Es gibt in diesem Hörerkreis Menschen in unterschiedlichen Stadien der Demenz. Man darf also nicht alle auf das fortgeschrittenste Stadium reduzieren. Es muss auch für die anderen etwas angeboten werden. Die weiter fortgeschrittenen Personen werden dabei einerseits einfach als Anwesende integriert. Können aber vielleicht sogar ebenfalls noch mit dem Vortrag, oder einzelnen Klingelworten angesprochen werden.
     
    Deshalb habe ich meine Dementia-Poetry-Serie um eine Sparte erweitert: Die Memory-Miniaturen = MemMinis.
     
    Es handelt sich dabei um kurze einfache Prosatexte, die sich mit Erinnerungen aus längerfristig zurückliegenden Situationen beschäftigen.
    Um den Bogen besser vom Vortragenden zum Hörer schaffen zu können, wählte ich als perspektivischen Eingangssatz:
    „Als ich ein Kind war …“

     

     

    MemMinis Beispiele:
     
    Fernsehen

    Als ich ein Kind war …
    gab es noch kein Fernsehen.
    Erst später kamen die großen Kisten, aus denen Bilder liefen. Schwarz-weiß.
    Hübsche Damen, die das Programm ansagten. Es gab nur eines.
    Das Bild war oft schlecht.
    Wir liefen mit der Antenne, der Libelle, im ganzen Zimmer herum.
    Die Nachbarn kamen. Zu uns. Weil sie noch keinen Fernseher hatten.
    Wir aßen Popcorn und salzige Erdnüsse.
    Um Mitternacht war alles vorbei.
    Die Bundeshymne erklang und dann
    gab es nur noch graues Rauschen.

     

    Gestrickt

    Als ich ein Kind war …
    wurden Pullover nicht gekauft, sondern selbst gestrickt.
    Allerdings nicht aus teurer schicker Wolle.
    Es wurden alte Pullover aufgetrennt.
    Wir wickelten die Wolle vor dem Waschen auf ein Brett.
    Damit sie wieder glatt wurde.
    Und nach und nach bekam jeder in der Familie
    auf diese Art einen neuen Pullover aus der immer gleichen Wolle.